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Sophie Tegetthoff – Eine junge Ärztin in Afrika

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Ich treffe die 27-jährige Sophie Tegetthoff nachmittags, als sie sich halbwegs von ihrer Nachtschicht erholt hat. In der letzten Nacht bekam die angehende Kinderärztin nur zwei Stunden Schlaf. Der Rest ihrer 16-Stunden-Schicht bestand aus Arbeit. Das klingt anstrengend. Sophie ist gerade im zweiten Facharztjahr und hat eine volle Stelle in einer Berliner Klinik. Das bedeutet fünf Nachtdienste pro Monat. Dazu kommt, dass sie an den meisten Wochenenden ebenfalls arbeiten muss. Natürlich stellt man sich da gelegentlich die Frage, ob sich die 13 Jahre Ausbildung lohnen, die man investiert, bevor man ein richtiger Arzt ist.

Sophie kann diese Frage meistens mit Ja beantworten. Sie mag den Kontakt zu den Menschen und ist gerne Ärztin. Sie träumt von einer eigenen Praxis und den vielen Kindern, die sie dort behandeln wird. Außerdem ist die Arbeit in Deutschland in vielerlei Hinsicht angenehmer, als das, was sie im letzten Jahr in Afrika erlebt hat. Dort hat sie innerhalb von sieben Monaten ungewohnte Erfahrungen gemacht und vieles neu einzuschätzen gelernt.

Wie kam es zu der Entscheidung für ein halbes Jahr nach Afrika zu gehen?

Afrika war immer schon ein Traum von mir, schon vor dem Studium, mit 18. Damals haben mir jedoch viele davon abgeraten und meinten es wäre zu „heavy“. Letztes Jahr habe ich mir meinen Traum dann erfüllt und es auch keine Sekunde bereut.

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War es in der Realität dann so schlimm, wie die anderen befürchtet hatten?

Nach dem Abitur war ich für vier Monate in Argentinien in einem SOS-Kinderdorf. Und auch während des Studiums war ich viel im Ausland, zum Beispiel in Brasilien und Indien. Daher hatte ich bereits Erfahrungen in Entwicklungsländern gesammelt, die mich sehr geprägt haben und mich in gewisser Weise auf Afrika vorbereitet haben. Wäre ich direkt mit 18 Jahren nach Afrika gegangen wäre der Schock bestimmt größer gewesen.

Wo war Dein erstes Ziel?

Die ersten acht Wochen arbeitete ich in Sambia, in der Buschklinik eines kleinen Dorfes, 100 km von der Hauptstadt entfernt. Es war eher eine Ambulanz, die von den Good Shepard Sisters betrieben wurde und nur aus zwei kleinen Behandlungszimmern und zwei Sälen mit verrosteten Betten für jeweils 10 Männer und 10 Frauen bestand. Zusätzlich gab es noch einen sporadischen Kreissaal mit zwei Betten.

Was waren Deine Aufgaben?

Wir haben täglich bis zu hundert Patienten gesehen, mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern. Zur Überwachung haben wir vor allem Kinder mit hohem Fieber aufgenommen, die meist an Malaria erkrankt waren. Wir hatten kaum Medikamente zur Verfügung, daher waren die Therapiemöglichkeiten sehr eingeschränkt. Patienten mit schweren Erkrankungen oder Verletzungen mussten wir in eine weiter entfernte, größere Klinik schicken, die jedoch für die meisten aus finanziellen Gründen nur schwer erreichbar war. Jeden Tag betreuten wir zusätzlich bis zu fünf Geburten.

Habt ihr auch die Schwangerschaftsvorsorge übernommen?

An zwei Tagen in der Woche kamen zwischen 50 und 100 Schwangere zu uns. Sie wurden abgetastet und mit dem Hörrohr wurden die Herztöne des Kindes abgehört. Die Frauen bekommen ein paar Vitamin- und Folsäuretabletten. Das war’s. Diese Art von Vorsorgeuntersuchung wird durch ein Programm vom Staat und der WHO gefördert. Das Programm bietet zusätzlich zu den Vorsorgeuntersuchungen, die auch einen HIV-Test beinhalten, sogenannte ‚Education talks’. Hausgeburten unter furchtbaren hygienischen Bedingungen sind noch immer weit verbreitet in Sambia. Daher werden die Frauen motiviert ihre Kinder in einem sogenannten Health Center auf die Welt zu bringen, um die Kindersterblichkeit zu senken. Dafür werden sie gratis mit Entwurmungsmittel und Malariatabletten versorgt. Das Kind bekommt nach der Geburt die ersten Impfungen und Vitamin K. HIV-Medikamente gehören auch zum Programm, stehen jedoch fast nie zur Verfügung. Sambia hat noch immer eine der höchsten Aids-Quoten weltweit. 17 % der Bevölkerung sind infiziert. Auch der Glaube, dass man von HIV geheilt werden kann, wenn man mit einer Jungfrau schläft, ist immer noch weit verbreitet.

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Und wie muss man sich eine Geburt in dieser Umgebung vorstellen?

Die Frauen kommen hochschwanger und meistens schon mit starken Wehen auf dem Fahrrad oder zu Fuß. Sie haben oft eine Verwandte oder Nachbarin dabei. Von den Hebammen vor Ort bekommen die Gebärenden wenig Unterstützung, das Meiste müssen sie selbst machen. Trotzdem schreien sie nicht. Das ist in Afrika verpönt. Damit würden sie Schwäche zeigen. Auf der verrosteten Geburtsliege ist ein schwarzer Müllsack ausgebreitet, der sofort nach der Geburt von den Frauen selbst abgewaschen werden muss. Danach wird er kurz getrocknet und dann wiederverwendet. Sobald das Kind geboren ist, wird es in die typischen afrikanischen Tücher gewickelt und nicht weiter untersucht. Die Mütter müssen nach der Geburt sofort aufstehen und sich selbst mit kaltem Wasser waschen. Mit Kübeln, da es kein fließendes Wasser gibt. Meist gehen die Mütter danach sofort mit dem Baby auf dem Rücken wieder nach Hause. Nur bei Nachblutungen bleiben die Frauen noch ein paar Stunden zur Beobachtung.

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Was ist, wenn es mal Komplikationen gibt?

Wir hatten einmal eine Situation in der uns klar war: die Frau muss in eine Klinik verlegt werden. Die Frau lag seit Stunden in den Wehen, der Muttermund hatte sich nicht weiter geöffnet und die Frau war total erschöpft. Wenn jemand ins nächstgelegene Krankenhaus verlegt werden soll, müssen die Familien den Transport organisieren. Einen Krankenwagen gibt es nicht. Es kann eine Ewigkeit dauern, bis die Familie im Dorf z.B. eine Ziege gegen den Transport getauscht hat. In diesem Fall vergingen Stunden bis eine Fahrt in die Klinik organisiert werden konnte. Das Kind war tot, die Mutter, die fast verblutet wäre, konnte mit einer Not-OP noch gerettet werden. In solchen Situationen stößt man – aus Verzweiflung und Wut zugleich – absolut an seine Grenzen.

Die Kindersterblichkeit ist in Afrika ja noch immer sehr hoch, wie hast Du das erlebt?

Die Kindersterblichkeit liegt bei 100 von 1000 Kindern. Wenn ein Frühchen zur Welt kommt gilt es schlichtweg als zu schwach und stirbt. Neugeborene bekommen erst nach einer Woche einen Namen, da sie erst dann als „lebensfähig“ angesehen werden. In Afrika muss man immer nach der Anzahl der Schwangerschaften fragen, dann, wie viele Kinder die Frau geboren hat und danach kommt die wichtigste Frage: Wie viele der Kinder sind noch am Leben? Bei acht Schwangerschaften ist es nicht ungewöhnlich, dass davon sechs Babys Lebendgeburten waren und von diesen heute nur noch vier Kinder leben.

Nach der Zeit in Sambia war ich für fast drei Monate in einer großen Klinik in Malawi. Dort habe ich dann all die Schwerkranken gesehen, die wir zuvor aus der kleinen Buschklinik in die Kliniken überwiesen hatten: Kinder mit schwersten Infektionen, Malaria, Tuberkulose oder Unterernährung. Die Klinik war für afrikanische Verhältnisse sehr gut ausgestattet, aber kein Vergleich zu unseren Krankenhäusern. Die Kinderstation bestand aus einem riesigen Saal mit 100 Gitterbetten. In der Trockenzeit liegen dort 60-80 Kinder und im Schnitt sterben zwei Kinder pro Nacht. In der Regenzeit, in der es kaum Essen gibt und die Malaria sehr stark verbreitet ist, sind es bis zu 300 Kinder. Dann schlafen zwei bis drei von ihnen in einem Bett und manche auf dem Boden. Da fehlt es an Nahrung, Medikamenten und Überwachung. In dieser Phase sterben jede Nacht bis zu 20 Kinder. Da muss man als Arzt entscheiden, welches Kind gerettet wird und welches nicht.

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Wie hält man das aus, wenn man nicht helfen kann?

In den ersten Wochen ist das sehr belastend und frustrierend. Bei uns könnte man die meisten Kinder retten. Aber dort fehlen die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Medikamente sind kaum vorhanden und eine Grundversorgung ist oft nicht möglich.

Wenn man sich das zu sehr zu Herzen nehmen würde, müsste man abreisen. Man muss einen Weg finden, dass man die wenigen Dinge, die man leisten kann, als sinnvoll ansieht und die unglaubliche Dankbarkeit der Patienten annimmt.

Entdeckt man da den Wert der einfachen Dinge neu?

Ich entwickelte eine extreme Dankbarkeit. Es sind viele Dinge, die man dort aushalten muss: wir hatten z.B. kein fließendes Wasser, nur einen Tank und wenn der leer war, gab es auch mal zwei Tage kein Wasser. Durch die ständigen Stromausfälle erkennt man, welcher Luxus Strom ist. Auch die Ernährung war sehr einseitig – jeden Tag Maisbrei, der nach nichts schmeckt und keine Nährstoffe enthält. Viele Familien ernähren sich ausschließlich von diesem Maisbrei, wodurch Mangelerscheinungen und Unterernährung entstehen.

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Inwiefern hat Dein Afrikaaufenthalt Einfluss auf Dein Leben hier in Deutschland genommen?

Eine Woche nach der Rückkehr habe ich meinen neuen Job angefangen. Das bedeutete Ultraschall, EEG, Laboruntersuchungen – die volle Bandbreite an Diagnostik. In Afrika hat man meistes nur die klassische klinische Untersuchung zur Verfügung, eine Blutentnahme ist schon fortgeschrittlich. Durch diese Erfahrungen ist mir bewusst geworden, wie übersättigt und fordernd die Menschen bei uns sind. Selbst bei banalen Erkrankungen wird das Maximum an Diagnostik erwartet. In Afrika hingegen gibt es kaum Ärzte. Niemand kann sich das Studium leisten. In den Kliniken arbeiten vor allem Clinical Officers, die man als bessere Schwestern bezeichnen würde. Ihr praktisches Wissen ist jedoch vergleichbar mit dem von Assistenzärzten bei uns. Sie führen z.B. Kaiserschnitte eigenständig durch. Bei uns wäre das undenkbar. Ich habe in Afrika gelernt mich mehr auf mein Stethoskop und meine Hände zu verlassen.

Würdest Du wieder nach Sambia oder Malawi zurück gehen?

Sofort! Afrika hat mich in seinen Bann gezogen und ich will irgendwann unbedingt zurück, auch für länger. Aber zunächst einmal muss ich meinen Facharzt machen. Wirklich helfen kann man in Afrika erst, wenn man eine abgeschlossene Ausbildung hat. Was Afrika braucht, sind Ärzte, die die Leute vor Ort schulen und die Verpflichtung eingehen länger zu bleiben. Da geht es um Nachhaltigkeit. Langfristig verändert sich nur etwas, wenn das Personal vor Ort besser ausgebildet und an dem Bewusstsein der Menschen hinsichtlich Hygiene und Gesundheitsvorsorge gearbeitet wird. Projekte müssen über lange Zeit aufrechterhalten werden und leider scheitert es in Afrika meist daran.

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Hast Du gar keine Ängste vor Infektionskrankheiten oder Ähnlichem?

Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, dass ich krank werden könnte. Bei den Geburten ist jede zweite oder dritte Frau HIV-positiv. Gleichzeitig kann nicht immer so sauber gearbeitet werden, wie man das aus Deutschland gewohnt ist. Wenn man Angst hat, sich mit etwas anzustecken, darf man nicht nach Afrika gehen.

 

Die Photos aus Afrika stammen aus Sophies Archiv.

 

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