hits counter

Sie tanzt sich durchs Leben – Ein Interview mit Anna Anderegg von ASPHALT PILOTEN

148224_483538366160_5436384_n_720Anna Anderegg in CAPALOU (2011, photo by Betty Lang)

Als Anna Anderegg an diesem verregneten Nachmittag bei mir ankommt ist sie außer Atem, ihr Hund ist pitschnass und das erste, was sie erzählt, ist, dass gestern ihre Festplatte abgeraucht ist. Eine Katastrophe, wenn man bedenkt, dass sie gerade dabei war ein Video zu schneiden, das dringend fertig werden muss. Dass sie sich trotzdem Zeit nimmt, entspannt Tee trinkt und lacht? Ihre Spezialität.

Mit ihrer Tanz-Performance-Gruppe ASPHALT PILOTEN tourt Anna Anderegg seit Jahren durch die ganze Welt. Sie zeigten ihre Arbeiten schon in der Türkei, Russland, Tunesien und Marokko. Dabei meistert Anna Anderegg in ihrer Funktion als Konzeptionerin, Choreographin, Organisatorin und Tänzerin alle Hürden die einem in den Weg gestellt werden können. Jetzt zeigen die ASPHALT PILOTEN endlich mal wieder ein Stück in Berlin. Es heißt zwischen Raum.

Wie viel Zeit hast Du im letzten Jahr in Berlin verbracht?

142 Tage. Die restliche Zeit waren wir unterwegs. Wir waren einen Monat in Lausanne und mehrere Wochen in Frankreich. Letztes Jahr waren wir außerdem in Russland, wo wir auch wieder hingehen werden. Da wir bisher nur Stücke machten, die im öffentlichen Raum spielten hatten wir bislang nur von April bis September Saison. Mit zwischen Raum, unserem ersten Stück, das drin aufgeführt wird, haben wir hoffentlich auch mehr Aufführungen in der kalten Jahreszeit.

Wie viel Zeit bleibt da für Dein Privatleben?

Ich hänge nicht mehr so viel rum wie früher und mache nur sporadisch Party. Mein Freundeskreis ist jetzt reduzierter, aber auch ernsthafter. Ich treffe mich gezielt mit Leuten oder mache ein Essen zu Hause, wenn ich hier bin. Wir müssen so viel unterwegs sein, da in Berlin niemand unsere Auftritte bezahlen würde. Wenn ich nur hier arbeiten würde, müsste ich nebenher wieder in einer Bar jobben um Geld zu verdienen.

Hast Du dennoch Lieblingsorte in Berlin?

Ich bin jetzt total viel im Prenzlauer Berg, auch wenn ich das nie gedacht hätte. Mein Atelier ist hier und mir gefällt es viel besser als früher. Aber eigentlich ist es so: Egal wo ich in Berlin bin, es gibt immer einen Ort in der Nähe, den ich mag. Das Lo Men Noodlehaus in Charlottenburg, zum Beispiel, oder das Kumpelnest in Schöneberg. In Friedrichshain ist es die Primitivbar. Ich war auch immer gern im Freudenreich. Und Klunkerkranich im Sommer – Bombe!

IMG_6466_800-1Marco Barotti und Moni Vespi in TAPE RIOT (2011/2012, photo by Vincent Vanhecke)

Ist Berlin auch prägend für Eure Arbeit?

Ich glaube schon, dass Berlin für ASPHALT PILOTEN Berlin prägend war. Ich bin während meiner Tanzausbildung hier gestrandet und dieses: einfach machen, dieses Doityourself-Dings hat mich von Anfang an fasziniert. Es gibt grenzenlose Möglichkeiten sich künstlerisch aus zu toben, vielen Gleichgesinnte und in den seltensten Fällen muss man sich für irgend etwas rechtfertigen. Dieses Gefühl sich den Raum zu nehmen den man braucht, klingt bestimmt bei den Arbeiten mit.

Und wann habt ihr hier das letzte Mal ein Stück gezeigt?

Im März 2014 haben wir ein Showing gemacht und eine Arbeitsetappe in der Platoon Kunsthalle gezeigt. Allgemein zeigen wir jedoch sehr wenig Sachen in Berlin. Ich vermisse das auch ein bisschen und hoffe, dass Tanz hier jetzt besser funktionieren wird. Ich denke manchmal: wir zeigen die Sachen überall, nur nicht zu Hause und unsere Freunde wissen nur, was wir machen, weil sie irgendwelche Videos sehen.

Du trägst sehr viel Verantwortung bei ASPHALT PILOTEN, überfordert Dich das manchmal?

Mir macht das keine Angst. Sobald das Geld da ist und die Partner und die Orte feststehen, kann es los gehen. Aber es gibt immer zwei Seiten. Zum einen ist da die künstlerische Verantwortung. Ich arbeite seit 2010 mit Leuten zusammen, denen ich auch vertraue. Dabei wissen wir alle immer mehr und auch genauer, was wir wollen. Jeder von uns ist ein Spezialist auf seinem Gebiet und trägt sein Teil dazu bei. Außerdem sind wir alle eher kritische Menschen. Wenn wir alle das Projekt gut finden, sind wir auch auf einem guten Weg. Die andere Seite ist das Organisatorische. Wovor es mir graut ist die finanzielle Verantwortung. Manchmal unterschätzt man bei einer neuen Produktion, was da für ein Aufwand dahinter steckt. Aufbau, Abbau all diese Dinge. Wir haben dieses Jahr zwei neue Produktionen gemacht. Die werden auch noch wachsen und sich weiterentwickeln. Es gehört sehr viel dazu ein neues Stück aufführungsreif zu machen.

Worum geht es in eurem neuen Stück zwischen Raum?

Das erste mal, dass wir ein Stück machen, dass nicht im öffentlichen Raum stattfindet. Es geht um Raum, um Nähe und Distanz. Wie viel Platz braucht der Einzelne? Wir sind auch sehr Nahe an den Zuschauern. Jeder der das Stück sieht, erlebt eine andere Geschichte oder hat andere Bilder. Gleichzeitig ist das Stück pretty dark….

0W3A1093-KopieShorx_1728Laura Keil in zwischen Raum

Hattest Du Angst vor dieser neuen Herausforderung plötzlich in Räumlichkeiten zu inszenieren?

Total!

Wie war die Resonanz?

Sehr gut. Es war auch eine gute Produktionszeit. Nach drei Residenzen waren wir so weit, wie wir sonst manchmal erst kurz vor der Aufführung sind. Wir hatten dann noch eine Residenz wo wir uns mit dem Licht und der Führung des Publikums auseinander setzen konnten. Wir haben diesmal viel genauer und tiefgründiger gearbeitet.

Heißt das auch besser?

Nein, anders. Im öffentlichen Raum kämpft man ständig gegen die Flüchtigkeit an und dagegen, dass man alles komplett neu erschaffen muss. Das ist ein riesiger Aufwand. Im Theater ist einfach alles darauf ausgerichtet, dass man dort Stücke zeigt. Es gibt eine Infrastruktur, die auf der Straße fehlt.

Inwiefern kann man da seine Handschrift mitnehmen, wenn man in ein Theater umzieht?

Ich denke, das ist uns gut gelungen. Wir haben wieder komplett interdisziplinär gearbeitet. Wir verändern in zwischen Raum permanent die Raumstruktur und sind sehr nah an den Zuschauern. Diese Mischung aus visuell, musikalisch und Performance ist das, was ASPHALT PILOTEN ausmacht.

Und wollt ihr nun weiterhin Bühnenstücke machen?

In jedem Fall möchte ich mir mehr Zeit nehmen und präziser arbeiten. Das fand ich gut daran. Ich mag was wir im öffentlichen Raum machen, aber mein Anspruch ist gestiegen. Ich würde die Dinge gerne tiefgründiger erarbeiten in Zukunft.

Du tanzt auch selbst, wie fühlt sich das an, wenn man parallel die ganze Verantwortung trägt?

Ich bin mir da unsicher. Ich bin zu beschäftigt mit allem anderen, als dass ich da noch auf Dauer einen guten Tanzjob leisten könnte. Ich habe einen Anspruch, wie das sein muss und denke, tänzerisch könnte das besser gemacht werden. Vielleicht bin ich auch zu selbstkritisch.

Marco Barotti, dein Partner tanzt in diesem neuen Stück. Wie ist es, mit seinem Lebenspartner zu arbeiten?

Bei uns geht das total gut. Das war nicht immer so. Das musste sich erst einpendeln. Ich glaube aber viele Dinge wären nie so geworden, wenn wir kein Paar wären. Da ist ein Kern an dem es nichts zu rütteln gibt. Er gibt mir viel Kraft und kreiert einen Schutzraum in dem ich gut arbeiten kann. Alles in Allem ergänzen wir uns künstlerisch prächtig, er kann einfach hören was ich sehe… Natürlich wirken sich private Sachen manchmal auf die Arbeit aus. Da färben Dinge ab. Wenn wir uns streiten merkt man das. Marco hat aber auch andere Projekte ohne mich und ein tolles Soloprojekt. Wir hängen also nicht die ganze Zeit aufeinander. Wenn wir in Berlin sind verbringe ich die Zeit im Atelier und er im Studio.

IMG_0803_1280Igor Stepniewsky, Marco Barotti und Anna Anderegg in 10h10 (2010, photo by: Brigitte Ramseyer)

Ihr habt jetzt eine freischaffende Managerin um dich organisatorisch etwas zu entlasten. Hilft das?

Oh jaaa! Sie übernimmt die Organisation, das Booking und die Absprachen mit den Veranstaltern. Außerdem kümmert sie sich ganzheitlich um die Kosten und die Buchhaltung. Den Business-Kram eben. Wie teuer muss man die Shows verkaufen? Ich kann mich seit diesem Jahr mehr darauf konzentrieren künstlerische Konzepte zu entwickeln und zu schreiben. Ich habe jetzt mehr Raum für meinen eigentlichen Beruf. Ich habe das Gefühl ich kann gerade mein Spektrum öffnen.

Hast Du Wünsche für 2015?

Ich bin gerade 30 geworden. Ich habe mein Leben lang gedacht mit 30 hätte ich voll den Plan. Eine Woche vor meinem Geburtstag war ich dann total gestresst, weil ich immer noch keinen hatte. Irgendwann zwischen Party und Hang-over ist mir dann klar geworden dass mein Plan so ungefähr das ist, was ich eh schon mache…

Ich bin nun seit fast 10 Jahren in einer festen Beziehung mit Berlin und habe in dieser Zeit eine Menge tolle Menschen kennengelernt, die meisten haben sich unglaublich entwickelt. Ich wünsche uns allen, dass wir den Biss haben genau das zu machen was wir machen wollen und jetzt auch schon tun. Da muss nur noch ein Verstärker ran, dann wird das fett!

Zum Schluss ist hier noch der Trailer zu ihrem neuen Stück zwischen Raum

zwischen Raum – Teaser from ANNA ANDEREGGG

Zu sehen sind die ASPHALT PILOTEN hier:

zwischen Raum

> am 16. + 17. Januar in den Uferstudios Berlin

> am 28. Februar beim 100° Festival in den Sophiensälen (nur ein Ausschnitt)

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...

Author

Glowbus steht nicht für Einzelkämpfer, sondern für ein Netzwerk aus interessierten und offenen Frauen. Wenn Dir also ein Thema am Herzen liegt oder Du eine spannende Geschichte zu erzählen hast, dann zögere nicht, uns zu kontaktieren. Schick das ganze an gastbeitrag@glowbus.de. Wir freuen uns über lesenswerte Gastbeiträge!

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *