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Mamabeat – Eltern auf der Suche nach dem eigenen Rhythmus

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Vor einigen Wochen fragte Katja mich für einen geplanten Post nach Tipps für die ersten vier Wochen mit einem Neugeborenen. Ich saß ihr schulterzuckend gegenüber. Ratlosigkeit von meiner Seite. Sie hatte vermutlich gehofft eine zweifache Mutter könnte ihr ein paar Ergänzungen für ihre Liste nennen. Im Anschluss sinnierte ich einige Tage darüber, fand jedoch keine ergiebige Antwort. Zu unterschiedlich und vielfältig erschienen mir die Babyvarianten, die es gibt. Schon meine beiden Kinder hatten und haben völlig konträre Bedürfnisse. Während das eine Kind jeden Mittag schlief wie ein Stein und man es im Restaurant getrost für zwei Stunden im Buggy neben den Tisch stellen konnte, ohne in seiner Unterhaltung gestört zu werden, wäre das mit dem anderen Kind undenkbar gewesen. Mittagsschlaf im Lärm? Keine Chance! Manche Kinder sind mittags fit, andere nie. Manche schlafen durch, andere bei ihren Eltern im Bett. Manche stehen lieber um 9:00 Uhr auf, andere um 6:00 Uhr. Kinder sind kein bisschen besser als Erwachsene.

Aus diesem Grund ist mein Buch MAMABEAT auch kein Ratgeber geworden. Ich kann niemandem empfehlen es wie ich zu machen, wenn er anders tickt. Meine Hebammen sagten mir: ein Kind braucht im ersten Jahr lediglich Milch und Liebe. Das war’s. Vielleicht noch ein Strampler dazu. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber mir gefiel diese Idee. Es war eine Investition, die ich mir leisten konnte und sie erlaubte mir andere Empfehlungen zu ignorieren. Ich wollte tun, was ich für sinnvoll halte und wovon ich überzeugt bin. Ich versuchte auf mich und das Baby zu hören, statt auf andere. Mit Kindern schien mir alles einem permanenten Wandel zu unterliegen. Jeden Tag aufs Neue. Außerdem hat jeder hat einen eigenen Zugang zu ihnen; bei jedem klappen andere Dinge besser oder schlechter.
Meine Kinder waren geplante Hausgeburten, hatten nie einen Schnuller im Mund, hatten keinen Kinderwagen und mussten schon früh damit Leben, dass nicht nur ihre beiden Eltern, sondern auch Verwandte, Freunde und Babysitter Verantwortung für sie tragen. Ich habe mir keine Ratgeber gekauft und nur wenige fremde Menschen konsultiert. Dafür habe ich doppelt so viel mit denjenigen gesprochen, denen ich vertraue, deren Meinung ich schätze und deren Familien ich bewundere. Da mögen manche meiner Überzeugungen eine Rolle gespielt haben. Weitere Punkte waren Faulheit, Bequemlichkeit und die Lust mich einfach Einzulassen. Richtig war das bestimmt nicht und vor allem nicht für jeden. Für mich war es jedoch der praktikabelste und beste Weg.

Wenn es um Kinder geht, behaupten viele eindeutig definieren zu können, wie Dinge zu sein haben. Stillen oder Nichtstillen? Wickeln oder Windelfrei? Familienbett oder Kinderzimmer? Gläschen oder Rohkost? Kita oder Hausfrau? Alleinerziehend oder mit einem Gestörten verheiratet? Meistens gibt es für beide Seiten gute und fundierte Argumente. Die Kämpfe werden jedoch emotional geführt, mithilfe der Schlechte-Eltern-Keule die über den Köpfen der Kontrahenten geschwungen wird. Peng! und schon trifft er Dich, der versteckte Vorwurf aus dem Hinterhalt. Rabenmutter-Alarmglocken.
Ich halte nicht viel davon. Ich glaube, dass es beim Elternsein Bullshit-freie-Zonen braucht, Orte an denen Raum für differenzierte Betrachtung und Individualität bleibt. Ich nehme mir heraus Dinge anders zu machen und nicht bevormundet zu werden und das sollten alle Eltern tun (dürfen). Ich denke es ist an der Zeit aufzuhören auf politischer und gesellschaftlicher Ebene bestimmte Lebensformen zu bevorzugen. Wer schaukelt das Kind? Wer verdient das Geld? Wer hängt die Wäsche auf? Völlig egal! Klärt das selbst. Hauptsache ihr schlagt Euch nicht die Köpfe ein. Wer sich im Kontrast zu mir für ein Hausfrauendasein mit Milchpulver und Krabbelgruppe entscheidet, hat seine Gründe. Wer seine Karriere plant, die Kinder die meiste Zeit fremd betreuen lässt und dafür fast ein ganzes Gehalt investiert, wie in diesem Artikel in der ZEIT beschrieben, hat sie auch und macht bestimmt einiges richtiger, manches falscher und vieles gleich. Mich kann dennoch keiner dieser Lebenswege überzeugen. Nicht, weil ich glaube, dass sie falsch sind. Sie funktionieren nur aus einem Grund nicht bei mir: weil ich ich bin.
Deswegen käme ich auch nicht auf die Idee wie wild in die Kommentarboxen der Zeit-Online-Seite zu kotzen, wie bei besagtem Artikel geschehen. Auf elf Seiten werden hier persönliche Erfahrungen mit der eigenen Meinung vermengt, durchgeschüttelt und der beschriebenen Frau vor die Füße geleert, ohne sie und ihre Kinder je im Zusammenspiel erlebt zu haben, ohne ihr Verhältnis, ihre gemeinsam verbrachte Zeit und ihre Verbundenheit mit den Kindern beurteilen zu können. Ich kann mich mit dem Lebensmodell zwar auch nicht identifizieren, trotzdem liegt es mir fern es zu verurteilen. Und woher wissen die fleißigen Kommentierer überhaupt, was richtig ist für die Kinder?
Studien können uns helfen Beobachtungen anzustellen und uns herausfinden lassen, was für die Kinder am Besten ist. Oder glauben wir das nur? Versuchen wir womöglich irgendwelche Richtlinien zu finden, an denen sich alle orientieren können, weil uns unterschiedliche Lebensentwürfe verwirren? Ich lese gerne Studien und bin bereit meine Meinung zu ändern, wenn ich neue Erkenntnisse erlangt habe. Dennoch wird jedes Bild, jede Ansicht immer unvollständig sein müssen, weil sich mit Kindern alles permanent im Wandel befindet. Kann es nicht sein, dass manch eine Mutter besser im Büro aufgehoben ist, statt am Herd, wo sie zur tickenden Zeitbombe würde? Ist es möglich, dass manche Väter besser zu Hause blieben, weil das Geld verdienen sie überfordert? Kann es sein, dass eine Rollenverteilung wie in 50-er Jahre-Persilwerbung für unsere Nachbarn perfekt ist und für uns nicht?
Es gibt Familien, in denen sich Eltern eine gemeinsame Stelle teilen. Jeder arbeitet 50 %. Es gibt Familien, wo der Mann den Haushalt schmeißt und es gibt kinderlose Paare, die sich auf sich selbst konzentrieren. Vermutlich gab es in der jüngeren Vergangenheit nie so viel Entscheidungsmöglichkeiten im Elternsein wie heute und vielleicht ist auch hier das Problem zu sehen. Wir fühlen uns in unserer Lebensweise angegriffen durch die aufgezeigten Alternativen. Durch arbeitende Eltern wächst der Druck, selbst zu arbeiten. Brauchen wir nicht alle Erfolg, Karriere und die Wahnsinnsgeburtstagsparty? Torte, Luftschlangen, Budenzauber. Mithalten um jeden Preis und lieber die anderen beschimpfen, statt aufzugeben. Wundermutter, Wunderkarriere, Wundertüte. Ich denke, die richtige Dosierung muss man selbst finden.
Elternsein führt jeden an seine Grenzen. Alle Eltern müssen jonglieren, egal wie gut sie aufgestellt sind, wie hoch ihr Gehalt ist und wie viele Verwandte in der Nähe wohnen. Jeder von uns muss sich durch Fiebernächte quälen, 500 mal die gleiche Geschichte vorlesen, irrationale Streitgespräche führen und starke Arme haben. Und neuesten Studien zufolge machen die Kinder uns vermutlich sogar erst dann glücklicher als es kinderlose Personen sind, wenn wir alt werden. Kinder geben uns zwar auch heute Glücksgefühle, doch die Entbehrungen und Anstrengungen nivellieren diesen Effekt. Erst wenn die Kinder groß sind, stellt sich diese Dankbarkeit für das gemeinsam Erreichte ein. Nicht jetzt. Nicht heute. Später. Bis dahin machen wir ständig Fehler, treffen schlechte Entscheidungen, jammern zu viel und kuscheln zu wenig.
Ist es da nicht schön, wenn bei diesen Entscheidungen am Ende jeder nur sich selbst und seiner Familie gegenüber verantwortlich ist und nicht der gesamten Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft ablegen muss? Wäre es nicht schön, wenn wir anfingen zu akzeptieren, dass jede Familie ihr eigenes Tempo, ihre eigenen Freiräume und ihre eigenen Definitionen braucht? In MAMABEAT versuche ich Geschichten, Meinungen und Ideen vom Kinderhaben zusammenzufügen und damit neue Perspektiven zu eröffnen. Denn, wäre es nicht wunderbar, wenn jeder, der in Foren und gegen ein anderes Lebensmodell hetzt, den Freunden in dieser Zeit mal eine Salbe aus der Apotheke holt, Suppe kocht und deren Kinder durch den Park schiebt? Wie hat Nâzim Hikmet so schön geschrieben: „Leben einzeln und frei wie ein Baum und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.“ Vielleicht sollten wir dieser Sehnsucht öfter folgen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Eltern zu anderen Eltern sagen: Richtig ist, was sich für Dich gut anfühlt. Punkt.
Mamabeat erscheint heute im Buchhandel und kann direkt beim Beltz-Verlag oder via Amazon geordert werden.
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photos von Katja Hentschel

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