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Kinder brauchen Hebammen – ein Interview mit Sissi Rasche

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Meine beiden Kinder waren geplante Hausgeburten. Sobald ich wusste, dass diese Option der Geburt besteht, war es für mich nur noch schwer vorstellbar, dass mein Kind in einer Klinik zur Welt kommt. Eine sehr persönliche Entscheidung, die gerade einmal 1-2 % der deutschen Mütter treffen. Ein Sonderfall, eine Ausnahme. Zugleich ist es eine Entscheidung für die man gute, selbstständige Hebammen braucht.

Eine meiner freiberuflichen Hebammen war Sissi Rasche. Sie betreute mich die gesamte zweite Schwangerschaft hindurch, begleitete mich bei der Geburt und übernahm die Nachsorge im Wochenbett. Ich bin ihr sehr dankbar für die gemeinsame Zeit, genoss es in jeder Situation einen Ansprechpartner zu haben und bin froh, dass es Hebammen wie sie gibt. Denn nahezu alle Mütter brauchen Hebammen und sollten auf ihre Hilfe zurückgreifen können, unabhängig davon, ob sie ihre Kinder in der Klinik, im Geburtshaus oder in den eigenen vier Wänden zur Welt bringen. Hebammen begleiten werdende Mütter und Neugeborene in ihre neue Lebenssituation, sie beraten und helfen. Hebammen stellen die Geburtsvorbereitung und die Stillberatung sicher und versorgen unsere Kinder. Sie können unsere Stütze und Vertraute sein, wenn wir das wünschen.

In meinem Fall war Sissi von Anfang an mein Ansprechpartner. Arzttermine hatte ich während der Schwangerschaft gerade einmal vier. Die gemeinsam verbrachte Zeit kann helfen, um sich bei der Geburt bereits zu kennen und sich nicht in die Hände einer einem völlig fremden Person begeben zu müssen. Ich schätze diese Erfahrung sehr und viele der Frauen, die ihre Kinder gemeinsam mit ihrer Hebamme bekommen haben, werden das nachvollziehen können.

Gerade deshalb ist es so erschreckend, dass wir Gefahr laufen, bald keine Hebammen mehr zu haben. Dies bedeutete das Aus für zahlreiche Geburtshäuser, Beleghebammen und die Hausgeburten. Kinder könnten dann nur noch in großen Kliniken und mit wechselndem Personal zur Welt kommen. Wahlfreiheit und persönliche Betreuung wären damit ausgeschlossen. Selbstbestimmung sieht anders aus. Zudem würden alle anderen Aufgaben, die freiberufliche Hebammen zwischen Vor- und Nachsorge übernehmen, nicht mehr von ihnen wahrgenommen werden können. Und das alles nur, weil es keine Versicherung mehr gibt, die den Hebammen eine Haftpflicht zu vernünftigen Preisen anbietet.

Diese Entwicklung zeichnete sich schon seit Jahren ab. Während Hebammen 1981 umgerechnet lediglich 30,68 € an Haftpflichtprämie zu zahlen hatten, ist dieser Posten über die Jahrzehnte hinweg rapide angestiegen. Im Jahr 2010 kam es dann zu einer sprunghaften Erhöhung auf 3.689 € (bzw. 4.611,25 €, wenn es einen Vorschaden gab). Diese Entwicklung ist dem Umstand geschuldet, dass im Fall von Entbindungsschäden heute deutlich höhere Summen gezahlt werden müssen. Das ist zwar richtig, weil geschädigte Familien jede Unterstützung bekommen sollten, die im Schadensfall notwendig ist, allerdings führt sie zu einer finanziellen Schieflage bei den Hebammen. Seit dem 1. Juli 2014 liegt die Prämie bei 4.480 €. Der Beruf wird dadurch unrentabel. Die Hebammenvergütung müsste daher proportional zur finanziellen Verantwortung, die die Hebammen zu tragen haben, ansteigen. Eine Lösung ist jedoch nicht in Sicht und diese Entwicklung führt schon heute dazu, dass viele werdende Mütter keine Hebammen mehr finden.

Ich habe mit Sissi über die aktuelle Situation gesprochen und sie zudem gefragt, was sie an ihrem Beruf so liebt. Herausgekommen ist ein Interview, dass mir einmal mehr verdeutlicht hat, wie bedauerlich es wäre, wenn wir und auch die nachfolgenden Generationen keine Hebammen mehr hätten, die ihnen mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung zur Seite stehen.

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Wann hast Du den Entschluss gefasst Hebamme zu werden?

Mit 15, als die Frage aufkam „Was will ich mal werden?“, arbeitete ich als Babysitterin in einer Familie mit 6 Kindern und fragte die Mutter, was sie denn heute nochmal für einen Beruf lernen würde. Sie antwortete: Hebamme. Da dachte ich: Cool, perfekt für mich. Hier kann ich die Frau betreuen und zugleich eine ganze Familie. 2 Wochen nach dem Abi hatte ich dann schon einen Ausbildungsplatz und bin somit seit 2008 fertig ausgebildete, freiberufliche Hebamme.

Deine Ausbildung hast Du dann ja ganz klassisch im Krankenhaus mit großer Geburtsstation gemacht. Wie kam es dazu, dass Du heute auch Hausgeburten betreust?

Es gab da eine Schlüsselsituation: Nach einem Jahr im Krankenhaus lernte ich eine Hausgeburtshebamme kennen. Ich machte bei ihr mein Externat, ein Praktikum in der Hausgeburtsbetreuung. Nach der ersten Geburt, die ich mit ihr erleben durfte, war ich sehr beeindruckt. Ich habe eine halbe Stunde lang geheult, weil ich zuvor noch nie eine Frau gesehen hatte, die aus eigener Kraft ein Kind geboren hat. Eine Geburt ohne Intervention war mir aus dem Krankenhaus nicht bekannt. So entwickelte es sich, dass ich in meiner Freizeit immer bei den Hausgeburten half und darin meine Berufung fand.

Wie groß ist denn die Nachfrage nach Hausgeburten?

Ich kann nur für Berlin sprechen und hier hat die Nachfrage definitiv zugenommen. Ich habe allein dieses Jahr bestimmt 10 Geburten abgesagt. Und ich weiß gar nicht wo ich die Frauen dann hinschicken soll. Ich betreue ja auch Frauen, die ihr Kind im Krankenhaus zur Welt gebracht haben. Möchten sie sich dann für die Geburt des zweiten Kindes eine Hausgeburtshebamme suchen, wird es schwierig. Es gibt nicht genügend Hebammen, die das leisten können.

Es geht mir aber überhaupt nicht darum, die Hausgeburten zu fördern. Es geht um Sicherheit, und darum, dass eine Mutter sich wohlfühlt. Wer nach einer Beleghebamme im Krankenhaus sucht wird ebenfalls feststellen, dass es praktisch unmöglich ist, eine zu finden.

Hat es Dich nicht abgeschreckt, wie wenig Hebammen verdienen?

Die Wochenbettbetreuung und andere Hebammenleistungen werden generell schlecht bezahlt. Ich bekomme pro Wochenbettbesuch ein Pauschale von 31 € brutto. Egal was ich da tue und wie lange es dauert. Im Schnitt dauert so ein Besuch ca. 45 Minuten plus Anfahrt durch Berlin. Benzin und Auto kommen natürlich auch noch dazu. Wenn man aber zum Beispiel nur privatversicherte Frauen behandelt kann man ganz gut davon Leben und es gibt vereinzelt auch schon Hebammen, die das machen.

Trotzdem sieht es in der aktuellen Situation so aus, als könnten sich die meisten Hebammen die Haftpflichtversicherung nicht mehr leisten und müssten aufhören.

Es ist einfach so: wenn Du sehr viel arbeitest und es schaffst fünf bis acht Frauen pro Monat zu betreuen, dann kann das schon funktionieren. Dann kannst Du aber eigentlich nicht gewährleisten, dass Du für jede Frau wirklich da bist und Du bist permanent in der Rufbereitschaft. Diesen Job kann man nicht nebenbei machen. Ich habe außerdem auch noch zwei eigene Kinder. Wenn ich Rufbereitschaft habe ist nachts mein Mann da und wenn der auf Geschäftsreise ist bin ich auf die Hilfe von Babysittern oder Freunden angewiesen. Auch meine Mutter kommt öfter mal, um zu helfen. Es ist bei mir, wie bei allen berufstätigen Müttern. Allerdings weiß ich nie, wann ich arbeite, wann eine Geburt losgeht. Daher ist es für mich unmöglich so viel zu arbeiten, dass es sich nach dem Abzug der Haftpflicht noch lohnt. Geburten lassen sich nicht planen.

Es gibt gerade nur eine Versicherung die Hebammen versichert und niemand weiß, wie lange sie das noch tun wird. Wie schätzt Du die Situation ein?

Ohne Berufshaftplicht können Hebammen nicht arbeiten. Meine Versicherung hat mir zum 1. Juli 2015 gekündigt. Dann wäre es vorbei. Die Leute denken immer, es geht um ein paar wenige freie Hebammen, aber es geht um viel mehr. Eine eins zu eins Betreuung ist ohne die freiberuflichen Hebammen nicht möglich. Beleggeburten könnten nicht mehr stattfinden und man würde einfach auf die gerade diensthabende Hebamme in der Klinik treffen. Es fühlt sich an, wie eine Hexenverbrennung. Und die Mühlen der Politik mahlen zu langsam. Am ersten Juli diesen Jahres sind die Versicherungsprämien wieder gestiegen. Zwar sollen Hebammen einen Zuschuss zur Versicherung bekommen, dafür gibt es aber noch keine Lösung. Die Versicherungsprämien wurden jedoch schon abgebucht.

Denkst Du, dass die Unterstützung der Hebammen politisch nicht gewollt ist?

Mein Gefühl ist, dass den Frauen die Entscheidung abgenommen werden soll. Viele kleine Kliniken schließen bereits ihre Geburtsstationen aus ökonomischen Gründen. Sylt hat zum Beispiel keine Geburtshilfe mehr. Die Paare müssen rechtzeitig aufs Festland fahren und dort die Geburt abwarten. Da entsteht Geburtstourismus. Frauen fahren in Städte um in ein Geburtshaus gehen zu können oder um überhaupt eine Klinik zu haben. Jegliche Individualität geht dabei verloren Und so lernen junge Ärzte heute auch Geburtshilfe. Anders kennen sie es dann gar nicht mehr. Am Ende bleibt nichts von dem, was eine Geburt ausmacht, erhalten: Intimität, Sicherheit und mit Menschen die man mag gemeinsam sein Kind empfangen. Die Geburt ist ein so prägender Moment für Mutter und Kind, dass wir ihnen eine gute und individuelle Versorgung zuteil werden lassen sollten.

Wie würde Deiner Meinung nach eine Zukunft ohne freiberufliche Hebammen aussehen?

Ich denke, die Veränderungen werden erst dann auffallen, wenn es keine freiberuflichen Hebammen mehr gibt. Beispielsweise ist das Wichtigste im Wochenbett Ruhe. In der ersten Woche sollte man zu Hause bleiben und sich regenerieren. In den ersten 10 Tagen passiert ja am meisten in der Rückbildung und auch für die Kinder bedeutet es Stress unterwegs zu sein. Daher braucht man im Wochenbett Hebammen. In Deutschland sind wir derzeit in einer Luxus-Situation. Frauen haben Anspruch auf acht Wochen Betreuung und Hausbesuche nach der Geburt. In der DDR gab es beispielsweise nur eine Mütterberatung im Krankenhaus, in Spanien ist das auch so. Da müssen die Frauen hinfahren um ihre Fragen zu stellen. Wenn es keine Hebammen mehr gibt, die diese Betreuung übernehmen, werden die Eltern in Deutschland wohl in die Kinderarztpraxen gehen. Die werden dann aus allen Nähten platzen, was sie jetzt schon häufig tun. Das geht gar nicht, das dort aufzufangen.

Und für die Geburten wäre es ohnehin ein großer Einschnitt. Es gäbe nur noch angestellte Hebammen in den großen Geburtszentren. Hier würde dann, wie es heute in den Kreißsälen schon üblich ist, eine Hebamme für mehrere Gebärende parallel die Verantwortung tragen. Da wird man natürlich keiner der Mütter gerecht. Eine kontinuierliche Betreuung ist unter diesen Umständen nicht gewährleistet. Meiner Meinung nach, ist das auch einer der Gründe für die vielen Kaiserschnitte. Diese liegen heute schon bei fast 30 %. Frauen, die ich nur im Wochenbett betreue schildern mir oft diese Erfahrungen. Krankenhäuser wie die Havelhöhe in Berlin, die nur mit Beleghebammen arbeiten, würden dann wohl keine Geburten mehr durchführen können. Geburtshäuser gäbe es auch nicht mehr, außerdem keine Stillberatung, keine Geburtsvorbereitungskurse und keine Schwangerenvorsorge.

_MG_9489photos by Katja Hentschel

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Es ist schwer, sich das vorzustellen und dennoch wird es zur Realität, wenn nicht zeitnah gehandelt wird. Das Problem ist, dass die meisten von uns erst dann anfangen über Hebammen nachzudenken, wenn sie schwanger sind. Zunächst ist da ein komisches Gefühl. Der Teststreifen, der Arzt und die Gewissheit stehen vor dem Gedanken an das Wie und Wo einer Geburt. Und dann? Dann wünschen sich die meisten von uns das Gleiche: einen kurzen Weg ins Krankenhaus (oder Geburtshaus) sowie eine gute und vertrauensvolle Betreuung durch Ärzte und Hebammen. Wir möchten, dass unsere Partner, Verwandten und Freunde in unserer Nähe sein können und wir uns aufgehoben fühlen. Der wichtigste Aspekt ist jedoch, dass wir die Wahlfreiheit haben uns selbst zu entscheiden, wie und wo unsere Geburt stattfinden soll. Und das ist es auch, was ich mir für meine Kinder und alle anderen zukünftigen Familien wünsche.

Der BfhD (Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V.) gibt zu dieser Thematik regelmäßig Stellungnahmen ab und bietet viele interessante Informationen.

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